Bevor du dich für das Allgäu als dein nächstes Urlaubsziel entscheidest, gebe ich dir einen kleinen Überblick über die Region. Dass es hier ideale Wanderbedingungen mit gut ausgeschilderten Routen zu donnernden Wasserfällen, auf saftiggrüne Almen und zerklüftete Bergspitzen gibt, wirst du sicherlich schon gehört haben. Aber wo liegt das Allgäu eigentlich? Es ist kein politisches Gebiet mit klaren Grenzen, sondern ein kultureller Landstrich, der sich auf Teile Baden-Württembergs, Bayerns und Österreichs erstreckt. Von den bis zu 2.656m hohen Allgäuer Alpen über die Stadt Füssen mit dem weltberühmten Schloss Neuschwanstein bis hin zu Lindau am Bodensee, dem größten See Deutschlands, stehen zahllose Orte für deine Wanderreise ins Allgäu zur Auswahl.
Schon das bayerische Adelsgeschlecht verliebte sich immer wieder in das Panorama aus Bergen und Seen im Ostallgäu. So wurden im Laufe des 19. Jahrhunderts gleich zwei märchenhafte Schlösser auf bewaldeten Felsvorsprüngen östlich von Füssen errichtet: Hohenschwangau durch König Maximilian II. und Schwanstein durch König Ludwig II. Warum also vor Beginn der eigentlichen Wanderung nicht kulturelle Attraktionen bestaunen, die sogar Reisende aus der ganzen Welt willkommen heißen?
Nachdem du durch romantische Prunkräume flaniert bist, wendest du dich vom Trubel rund um die Ritterburgen ab und begibst dich auf einen idyllischen Ausflug. Der etwa 9km lange Rundweg führt zuerst durch ein enges Tal zwischen den beiden Schlössern hindurch, das dich zu dem türkisblau schimmernden Alpsee bringt. Nach einem kleinen Anstieg gehst du entlang steil abfallender Klippen und bewunderst die Aussicht über das funkelnde Wasser. Anschließend folgt der Pfad stetig und eben dem Nordufer, bis du das Marienmonument erreichst. Es wurde Marie Friederike, der Mutter König Ludwigs II. gewidmet, die gern hier saß und den Blick über den See bis hin zu den hoheitsvollen Residenzen schweifen ließ.
Vom Marienmonument aus kannst du die kurze Route über das südliche Seeufer zurück zum Schloss Neuschwanstein nehmen. Oder du entscheidest dich wie ich für die längere Variante mit weiteren Highlights. Du tauchst in einen schattigen Wald ein, beschreitest teilweise schmale Pfade und gelangst so zur beeindruckenden Pöllatschlucht. Du betrittst das zerrüttete Tal über die Marienbrücke, auf der du unmittelbar über dem Wasserfall stehst. Hier rauscht der Wildbach Pöllat 90m durch eine enge Felsöffnung. Doch vor allem die majestätische Ritterburg im Hintergrund wird dich in ihren Bann ziehen – aus diesem Blickwinkel hast du das Schloss Neuschwanstein bestimmt schon auf vielen Postkarten gesehen.
Steige nun über einen Treppenweg in die Pöllatschlucht hinab und spaziere auf einem in die Felswände verankerten Metallsteg über dem Pöllat, der schäumend Gesteinsbrocken umspült. Vom Talausgang bringt dich der Straßenverlauf wieder zurück zu den ehemaligen Königsdomizilen.
Im Westen von Oberstdorf, der südlichsten Gemeinde Deutschlands, erwartet dich ein faszinierendes Naturschauspiel. In der Breitachklamm wandelst du auf von Menschenhand angelegten Stegen direkt über den Fluss Breitach, der durch zahlreiche Felsspalten tobt. Auf dem Pfad, gesichert durch ein Geländer, balancierst du manchmal in vielen Metern Höhe durch den zerfurchten Taleinschnitt. Teilweise kommst du der aufspritzenden Gischt ganz nah, die dann deine unbedeckte Haut benetzt.
An der engsten Stelle, fast am Boden der Klamm, scheinen dich die dunklen Felswände zu umschließen. Hier lassen eingeklemmte Gesteinsbrocken so gut wie kein Sonnenlicht einfallen, wodurch eine geheimnisvolle und unwirkliche Atmosphäre entsteht. Am Ende des sich windenden Schluchtenwegs eröffnet sich vom Zwingsteg aus ein atemberaubender Blick in die schroffe Tiefe. Wenn du nicht genug von der Breitachklamm bekommen kannst, kehrst du jetzt über die gleiche Strecke zurück. Oder du führst die Rundwanderung fort, wahlweise über die Alpe Dornach oder die Sesselalpe.
Sehr empfehlenswert ist die Klammwanderung im Winter, wenn weißer Puderschnee, tropfende Eiszapfen und gefrorene Wasserfälle von sanften Sonnenstrahlen getroffen werden und wie ein Lichtermeer leuchten. Noch stimmungsvoller ist zu dieser Jahreszeit eine geführte Fackelwanderung: In der Dunkelheit scheint die verschneite und vereiste Schlucht golden-rötlich zu glühen.
Die maximal 1.834m messende Nagelfluhkette ist ein Gebirgsmassiv am Nordrand der Allgäuer Alpen, das sich von Deutschland bis nach Österreich erstreckt. Nimm dir ausreichend Proviant und Wasser mit, denn auf dieser gut siebenstündigen Weitwanderung stehen dir ohne Umweg keine Einkehrmöglichkeiten zur Verfügung. Ein idealer Ausgangspunkt für diese anspruchsvolle Gratwanderung ist Immenstadt, wo du mit der Mittagbahn auf die Spitze des Mittags fährst.
Oben angekommen schnürst du noch einmal deine Wanderschuhe fest und marschierst auf einem Weg mit geringer Steigung zum Steineberg. Sein felsiges Antlitz umgehst du entweder, ohne dabei merklich deine Höhe zu verändern, oder du besteigst den Panoramaberg über eine Leiter. Die zweite Variante schenkt dir einen weitreichenden Blick über das postkartengleiche Illertal. Sobald du dich von dem malerischen Panorama losreißen kannst, wanderst du bergauf, bergab, den Stuiben und den Sedererstuiben überquerend.
Auf dem folgenden Streckenabschnitt sind immer wieder deine Trittsicherheit und eine ordentliche Portion Ausdauer gefragt: Du überwindest von Stahlseilen gesicherte Steinpfade und wanderst steil hinauf zum Rindalphorn. Der Kamm mit sanften Almwiesen zum mit 1.834m höchsten Gipfel der Nagelfluhkette leuchtet in saftigen Grüntönen. An deinem Ziel, dem Gipfelkreuz des Hochgrats angekommen, wirst du die vergangenen Strapazen schnell vergessen. Bei klarem Himmel erblickst du von hier aus sogar den tiefblauen Bodensee und die weit entfernte Zugspitze. Lass die friedvolle Stimmung auf dich wirken, bevor du mit einem stolzen Gefühl bequem mit der Hochgratbahn wieder ins Tal hinunter fährst.
Eine meiner Lieblingswanderungen führt vom Wanderparkplatz in Buchenegg durch das Naturwaldreservat Achrain – das älteste Naturreservat Bayerns – zu den wildromantischen Buchenegger Wasserfällen. Dieser interessante Waldlehrpfad ist mit Informationstafeln versehen, durch die du viel über die Waldentwicklung lernst und darüber, wie wichtig Totholz für das Ökosystem ist. Deshalb greift der Mensch in das Reservat auch nicht ein, sodass umgestürzte und abgebrochene Äste an Ort und Stelle liegen bleiben. Es kann also sein, dass du ein paar leichte Hindernisse überwinden musst, was deinem Ausflug einen abenteuerlichen Charakter und Dschungel-Feeling verleiht.
Während der Forstweg zu Beginn eben und breit ist, balancierst du im weiteren Verlauf über schmale, von Wurzeln durchzogene Serpentinen, die sich durch ein Meer von Bäumen hindurchschlängeln. Etwa auf halber Strecke, genau gegenüber der Wasserfälle, bietet sich eine Holzbank als Picknickplatz an. Dank einer Lichtung bekommst du schon einen ersten Eindruck von den abstürzenden Wassermassen. Je näher du dem Wegende kommst, desto lauter wird das Tosen. Zum Schluss erfordern steile Treppenstufen nach unten eine gute Augen-Fuß-Koordination. Jetzt musst du nur noch eine Metallbrücke über die Weißach sowie einen stabilen Holzsteg überqueren und schon stehst du über dem kühlen Nass, das sich glasklar und grünblau schimmernd in zwei Felsbecken sammelt.
Wenn du im Sommer hierher kommst, nimm auf jeden Fall deine Badesachen mit, denn die Naturpools verheißen nach der Anstrengung eine willkommene Abkühlung. Vielleicht wirst du, während du am steinigen Ufer eine Pause einlegst, sogar Zeuge eines kühnen Unterfangens: Ab und an besteigen wagemutige Kletterer die Felsen und springen aus bis zu 30m Höhe in die Fluten. Dieses Spektakel nennt sich in der Allgäuer Mundart „Gumpen jucken“. Als Rückweg kannst du beispielsweise die Rundwanderung über den Hündle zurück zum Wanderparkplatz Buchenegg wählen.
Du musst nicht bis zum Sommerhalbjahr ausharren, bevor du dich wieder deinem Hobby widmen kannst. Dank der zahllosen Winterwanderwege im Allgäu stapfst du warm eingepackt sogar durch hohen Schnee. Auch wenn du im Skiurlaub bist und zwischendurch Abwechslung suchst, sammelst du zu Fuß ganz andere Eindrücke von der weiß bestäubten Berglandschaft. Deinen Aufstieg zum 1.787m großen Riedberger Horn startest du an der Talstation Grasgehren. Du verabschiedest dich also von der Piste und hast ab jetzt den in der Sonne glitzernden Berghang für dich allein.
Der Weg verläuft mit kräftiger Steigung durch den Winterwald, der dich mit geheimnisvoller Stille umgibt. Sowie du auf dem Bergrücken bist, schützen dich keine Bäume mehr vor dem kalten Wind: Deshalb solltest du auf jeden Fall eine flauschige Mütze dabei haben. Der Kamm ist recht flach, nur das letzte Stück auf den Gipfel wird deine Beinmuskulatur noch einmal beanspruchen – dafür wird dir aber schnell wieder warm. Suche dir ein windgeschütztes Plätzchen und genieße die Panoramen des Bolgengrats im Osten und des Großen Ochsenkopfs im Westen. Sehr empfehlenswert ist diese Tour am Nachmittag, wenn sich beim Abstieg der Schnee im Licht der untergehenden Sonne rot färbt.
Mit den fünf schönsten Wanderwegen im Allgäu konnte ich dir nur einen klitzekleinen Ausschnitt aus den endlos erscheinenden Möglichkeiten in der Region geben. Alle Routen, Variationen und Ausflugsziele ließen sich gar nicht niederschreiben, denn das würde vielleicht sogar das Internet sprengen. Aber ich glaube, dass du ein sehr gutes Bild von der abwechslungsreichen Natur in Süddeutschland und Österreich bekommen konntest. Vielleicht möchtest du dich jetzt selbst von der Schönheit der märchengleichen Berg- und Seenlandschaft überzeugen.